02. April 2009: Siebter
Inländerstammtisch
Bildung und Integration - Was muss sich im deutschen
Bildungssystem ändern?
Warum es Migranten im deutschen Bildungssystem
besonders schwer haben und was gegen deren Benachteilung zu tun
ist, das diskutierten knapp 40 Interessierte, darunter viele
Migranten, am 02. April in der Bergedorfer Moschee beim 7. Inländerstammtisch
zum Thema „Bildung und Integration – was muss sich im
deutschen Bildungssystem ändern?“ mit Prof. Dr. Ingrid
Gogolin vom Institut für international vergleichende und
interkulturelle Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg.
In
ihrem rund halbstündigen Vortrag beklagte Gogolin die
„reaktive Integrationspolitik“ in Deutschland. Es gebe zwar
viele Maßnahmen, aber wenig Systematik, mithin keine
vorausschauende Integrationspolitik, so dass Migration ein
benachteiligendes Element sei, das mit zwei Elternteilen mit
Migrationshintergrund noch negativer wirke als mit einem. Verschärfend
komme hinzu, dass Bildung in Deutschland maßgeblich von der
Herkunft abhänge, Bildungsarmut also erblich sei. Die Folge
seien schlechtere Bildungsabschlüsse für Migranten und deren
aktive Diskriminierung beim Übergang von der Schule in den
Beruf. Hier hätten Migranten mit Haupt- oder Realschulabschluss
ähnliche Chancen wie Deutsche ohne Abschluss. Als
Gegenmaßnahme empfiehlt Gogolin eine Bildungsgesamtstrategie
mit zentralem Monitoring, kontinuierlicher Begleitung der
Migranten und einem Dolmetscherdienst. Bei der Kernfähigkeit
der sprachlichen und insbesondere der bildungssprachlichen
Kompetenz sei eine kooperative Sprachbildung an den
Schnittstellen des Bildungssystems erforderlich, wobei mit außerschulischen
Partnern (Eltern, Kitas, Vereinen, Betrieben) zusammengearbeitet
werden müsse. Da die sprachliche Kompetenz vor allem Zeit (bis
zu 8 Jahre) brauche, sei auch die Primarschule keine
Verbesserung. Für das Grundübel des deutschen Bildungssystems
hält Gogolin das (Aus-)Sortieren der Kinder, um homogene
Gruppen zu bekommen. Diese Homogenisierung werde künftig durch
die Schulbereichsfreigabe noch gefördert. Betriebe würden dann
noch mehr ihre Einstellungsauswahl nach der besuchten Schule
treffen.
Dass
es insbesondere auf die Eltern ankommt, diese ernst genommen
werden müssen, wurde in der lebhaften Diskussion deutlich, in
der die Anwesenden vor allem ihre persönlichen Erfahrungen
einbrachten. Oftmals mangele es an der richtigen Ansprache an
Kinder und Eltern. Den Lehrern fehle das Verständnis für
Migrantenkinder (interkulturelle Kompetenz), weshalb sie diese
oft unterschätzten. Die Folge seien weniger Empfehlungen für
das Gymnasium. Da die Eltern aber häufig Angst hätten oder das
Bildungssystem nicht durchschauten, würden sie sich zum Schaden
ihrer Kinder nicht wehren. Deshalb sei es wichtig, in die
Familien hineinzugehen, statt darauf zu warten, dass die Eltern
in die Bildungseinrichtungen kämen. Projekte wie das
Lesementoring (Ehrenamtliche gehen in die Familien und lesen mit
den Migrantenkindern) oder die Stadtteilmütter (Frauen mit
Migrationshintergrund gehen mit Lesematerial in Familien und
Schulen) wurden als erfolgreiche Maßnahmen gegen das
demotivierende deutsche Bildungssystem empfohlen. Auch die
Ganztagsbildung als Regelangebot müsse ausgeweitet werden für
diejenigen, die Sprachförderbedarf hätten. Letztlich dürften
die Institutionen nicht auf die Politik warten, sondern müssten
selbst aktiv werden und z. B. Familienzentren gründen, um so
Eltern wie Kinder zu fördern.
Der
nächste Inländerstammtisch findet übrigens am 15. Mai statt.
Dort wird dann mit der stellvertretenden Vorsitzenden der
Hamburger Bürgerschaft, Nebahat Güclü, über die
interkulturelle Kompetenz der Hamburger Verwaltung diskutiert.
Michael
Schütze
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